Alternativlos oder beliebig?

Jan Pieter Krahnen: Verantwortungsvoll handeln, wenn wir wissen, dass wir (fast) nichts wissen

Jan Krahnen

Von Jan Pieter Krahnen, Wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE

Die Leitfrage dieser Woche wird heute überall diskutiert: Politische Entscheidungen von größter Tragweite werden getroffen, obwohl über die Bedrohungslage nur wenig bekannt ist. Lange Inkubationszeiten und fehlende, massenhafte Testdaten machen die Corona-Pandemie zu einer geheimnisvollen Bedrohung für uns alle.

In der öffentlichen Diskussion gibt es jene, die für einen Einsatz aller Mittel werben, um die Erkrankungszahlen zu drücken, und deshalb einen umfassenden „Shut-down“ empfehlen. Und es gibt andere, die auf die enormen Kosten eines Stillstands der Weltwirtschaft für Wohlstand, Gesundheit (!), Politik und Gesellschaft hinweisen – und ihn deswegen ablehnen.

Was ist „richtig“? Können wir zu rationaler Politikgestaltung in Krisenzeiten etwas Sinnvolles sagen?

Aus der Sicht eines Politikers ergibt sich eine enorme Herausforderung, um handlungsfähig zu bleiben: Wie kann heute so entschieden werden, dass spätere Beobachter zu dem Schluss kommen, das verfügbare Wissens sei verantwortungsvoll und im Interesse der Gesamtgesellschaft genutzt worden, statt planlos oder eigeninteressiert?

Es geht also um Entscheiden bei radikaler Unsicherheit, d.h. bei Ambiguität. Vorstellbare Pandemieverläufe müssten eigentlich abgewogen werden, bevor wir wissen, welcher Verlauf wie wahrscheinlich ist. Wie kann es gelingen, in dieser Situation zu einer Einschätzung politischen Handelns zu gelangen?

Ambiguität wird in der Entscheidungsforschung viel diskutiert, vgl. Epstein/Schneider (2008). Im Zentrum steht dort die Maxmin-Handlungsempfehlung: Bei mangelndem Wissen ist demnach auf „Nummer sicher“ zu gehen. Übertragen auf unsere heutige Leitfrage heißt dies, das Handeln zu Beginn an dem schlimmsten denkbaren Verlauf der Pandemie auszurichten.

Allerdings verändert sich die Informationslage von Tag zu Tag. Die tatsächliche Häufigkeit der Infektionsfälle, die Inkubationszeit und die Krankheitsverläufe nach Altersgruppen usw. treten mit der Zeit zutage. Dieses „Lernen“ aus den Daten gestattet eine fortlaufende Neubewertung des zukünftig denkbaren, weiteren Pandemieverlaufs.

Dies wiederum erlaubt eine Bewertung von Handlungspfaden in der Corona-Krise: Ausgehend von dem schlimmsten, denkbaren Fall soll die politische Reaktion systematisch neue statistische Erkenntnisse nutzen (Bayesian updating), um die eigenen Entscheidungen schrittweise nachzujustieren.

Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht liegt daher eine zu Beginn weitgehende und im Zeitablauf gelockerte Quarantäne nahe, wobei Art und Geschwindigkeit der Lockerung die eigentlichen Lernschritte aus einer systematischen Datenanalyse widerspiegeln.

„Gute Politik“ bedeutet, diese Vorgehensweise frühzeitig anzukündigen und dadurch Ängste zu mindern und die Akzeptanz der drastischen Einschnitte in unseren Alltag zu erhöhen.

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