Der Staat ist zurück, oder das Ende der Alternativlosigkeit

Dirk Jörke: In der Krise zeigt der Staat seine Handlungsmacht. Diese sollte er auch in der Zeit danach nicht wieder verstecken

Dirk Jörke

Von Dirk Jörke, Technische Universität Darmstadt

Die staatlich durchgesetzten Maßnahmen der letzten Wochen zum Schutz vor dem Corona-Virus waren gewiss nicht alternativlos, doch scheint deren Wirksamkeit die umfangreichen Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens zu rechtfertigen.

Was jedoch bei all den Maßnahmen so außerordentlich ist, ist, dass eine gesellschaftliche Ordnung, die je nach Perspektive als soziale Marktwirtschaft oder als neoliberaler Finanzkapitalismus beschrieben wird, von heute auf morgen nicht mehr als "alternativlos" erscheint. In den vergangenen 20 bis 30 Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, nicht kontrollierbaren Kräften ausgesetzt zu sein. Von Joschka Fischer stammt die Aussage, man könne keine "Politik gegen die Finanzmärkte machen", Kanzlerin Merkel sprach im Kontext der Eurokrise von einer "marktkonformen Demokratie". Wolfgang Streeck hat in seiner Analyse des Finanzmarktkapitalismus von der Dominanz des "Marktvolkes" gegenüber dem "Staatsvolk" gesprochen.

Doch in den vergangenen Wochen ist mehr als deutlich geworden, dass der Staat durchaus über Handlungsfähigkeit verfügt, und er kann sich, zumindest vorübergehend, auch gegen Marktimperative stellen. So ist es vielleicht die hoffnungsvollste Botschaft dieser so außergewöhnlichen Zeit, dass der Staat über die Macht und, insbesondere in Demokratien, auch die Legitimität verfügt, ganz erheblich in die gesellschaftlichen Abläufe einzugreifen und in der Konsequenz auch die Vernichtung privaten Kapitals in Kauf zu nehmen. Die turbulente Entwicklung auf den Aktienmärkten, die wir gegenwärtig erleben, gibt davon ebenso Zeugnis, wie die verwaisten Shoppingmals.

Der Staat versucht die wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Bereitstellung immenser Finanzmittel abzufedern. Auch über staatliche Beteiligungen an Unternehmen wird wieder ernsthaft diskutiert. Wettbewerbsrechtliche Regeln der Europäischen Union, die dem entgegenstehen, werden dabei außer Kraft gesetzt. Kurzum, die Corona-Pandemie hat zu einem Wiedererstarken des Staates geführt und damit auch das Gerede von der Alternativlosigkeit der wettbewerbswirtschaftlichen Ordnung als pure Ideologie entlarvt.

Thomas Piketty hat eindrucksvoll gezeigt, dass in vielen Staaten der Welt im 20. Jahrhundert gerade große Krisenerfahrungen (Kriege, massive wirtschaftliche Einbrüche, Revolutionen) zu einem radikalen Wandel der Politik und nicht zuletzt der Eigentumsordnung geführt haben. Durch einen Mix aus Krisenverlusten, Inflationspolitiken, Verstaatlichungen und einer stark progressiven Besteuerung von Einkommen und Vermögen (die Sätze reichten bis an die 90 Prozent) sind viele Gesellschaften in der Zeit zwischen 1920 und 1980 deutlich egalitärer geworden. Seitdem hat sich der Trend wieder umgekehrt. Die aktuelle Krise bietet nicht nur die Gelegenheit, sondern auch die Notwendigkeit, diesen Trend umzukehren. Dabei ist vor allem über alternative Konzeptionen von Eigentum nachzudenken.

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