Katharina Krause, Katharina Wezel - beide Eberhard Karls Universität Tübingen
„Das Virus kennt keine Grenzen!“, „Wir sitzen alle im gleichen Boot!“ – markige Sätze wie diese werden in diesen Zeiten häufig bemüht, um zu betonen, dass sich niemand dem universellen Risiko einer Infektion entziehen kann. Aus medizinischer Sicht ist sicherlich richtig: Ein Virus diskriminiert nicht. Es existiert aber in Gesellschaften, die eben dieses tun. Aufgabe der (Sozial)wissenschaften ist es hier, dafür zu sorgen, dass diese Erkenntnis Aufmerksamkeit erfährt und sich in den Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie niederschlägt.
Die komplexe Genderdimension der Pandemie scheint hierbei besonders relevant und bis auf wenige Ausnahmen (z.B.: Wenham et al. 2020) in der bisherigen wissenschaftlichen Debatte unterrepräsentiert. Bisherige Statistiken deuten darauf hin, dass Männer etwas häufiger als Frauen von COVID19-Erkrankungen und schweren Verläufen betroffen sind. Ist COVID19 also für Männer gefährlicher als für Frauen? Nein, eine rein medizinische Antwort greift hier deutlich zu kurz. Frauen erledigen einen Großteil der schlecht- oder unbezahlten Care- und Pflegearbeit in unserer Gesellschaft und sind darüber hinaus stärker von sekundären Folgen der Pandemie betroffen: Kontakt- und Ausgangssperren erhöhen das Risiko, Opfer häuslicher Gewalt zu werden, überlastete Gesundheitssysteme erschweren den Zugang zu sicheren Abtreibungen und Geburten. Die Schließung von Schulen und Kitas trifft Frauen zudem besonders hart und verschärft bestehende Ungleichheiten. Helen Lewis betrachtet unter anderem deswegen COVID19 als „Desaster für den Feminismus“.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Aus vorherigen Gesundheitskrisen wissen wir, dass Frauen besonders von primären und sekundären Folgen einer Epidemie betroffen sind. Was für die Zika- und Ebola-Epidemien galt, gilt leider auch für Corona.
Was heißt das also für die Wissenschaft? Zum einen brauchen wir Daten, die nicht genderblind sind. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Data hub von UN Women, der globale Daten zur Pandemie hinsichtlich der Genderkomponente untersucht. Zum anderen ist Diversität in Expertengremien wichtiger denn je. An der aktuellen Stellungnahme der Nationalakademie Leopoldina zur Überwindung der Krise sind zwei Frauen und 24 Männer beteiligt. Ob es so gelingen kann, Empfehlungen zu erarbeiten, die den komplexen Lebensrealitäten einer heterogenen Gesellschaft gerecht werden, scheint fraglich.
Gerade in Zeiten von Unsicherheiten und Aufruhr ist es wichtig, Ungleichheiten im Blick zu behalten und insbesondere diejenigen zu schützen, die unter strukturellen Ungleichheiten noch stärker leiden müssen als im normalen Alltag. Genderdynamiken ins Zentrum zu rücken wäre hier ein erster großer Schritt, der nicht nur von WHO und UN, sondern auch durch die wissenschaftliche Diskussion des Themas angestrebt werden sollte. Gender ist kein Thema, das auf ein ‚nach der Krise‘ verschoben werden kann, vielmehr ist jetzt (spätestens!) die Zeit gekommen, gender und global health zusammenzudenken.
Sei der erste der kommentiert