Keine Alternative? Folge den Daten, reagiere zeitnah und investiere in Wissenschaft

Ivan Dikic: In Ermangelung zuverlässiger genetischer Tests, ohne Medikamente und Impfstoffe konzentrierte sich die weltweite Reaktion auf COVID-19 auf epidemiologische Maßnahmen. Hätten wir früher und besser reagieren können und was haben wir für die Zukunft gelernt?

Ivan Dikic

Von Ivan Dikic, Goethe-Universität Frankfurt

Bei Epidemien und Pandemien handelt es sich um dynamische Prozesse, die je nach Art und Umfeld variieren, insbesondere aufgrund von sozialen Verhaltensweisen und lokaler Ausbreitung. Die ersten wissenschaftlichen Daten aus Asien zu SARS-CoV-2 deuteten auf ein sich schnell ausbreitendes Virus hin, das bei einem Großteil der Bevölkerung (etwa 80-90%) zu relativ milden Symptomen, bei kranken und älteren Menschen jedoch zu erhöhten Sterblichkeitsraten führt. Als das Virus Europa und die Vereinigten Staaten erreichte, breitete es sich rasch in der Bevölkerung aus und führte zu einer unerwartet hohen Zahl von Todesopfern. Die rasante Ausbreitung führte insbesondere bei betroffenen Krankenhäusern und Seniorenheimen zu einer großen Anzahl an schwerwiegend Erkrankten, welche Intensivbehandlung benötigten. Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, wurden – angefangen von der physischen und sozialen Distanz bis hin zur vollständigen Quarantäne – immer strengere Maßnahmen zur Eindämmung eingeführt. Die entsprechenden Länder versuchten dadurch, ihre Gesundheitssysteme in die Lage zu versetzen, jedem Schwererkrankten eine umfassende Gesundheitsversorgung garantieren zu können.

Öffentlich zugängliche Gesundheits- und epidemiologische Daten spielten in den meisten Ländern bei der Festlegung von Maßnahmen eine entscheidende Rolle. Diese waren jedoch aufgrund fehlender genetischer Tests und noch unbekannter Symptomatik nicht immer eindeutig. Zum heutigen Zeitpunkt ist jedoch offensichtlich, dass frühzeitige Einführung von Eindämmungsmaßnahmen und deren Einhaltung mit einer geringeren Anzahl an Todesopfern einhergehen. Gleichzeitig beeinträchtigen diese Maßnahmen unser Leben beträchtlich – einschließlich der Wirtschaftsleistung, der Schulen und Universitäten, der Bewegungsfreiheit, der demokratischen Standards sowie des psychologischen Status vieler Bürger. Dennoch haben viele Länder diese Einschränkungen einer noch unbekannten Gefahr vorgezogen. Wir mussten diesem Virus wehrlos entgegentreten – ohne spezifische Tests, Medikamente, Impfstoffe oder Immunität.

Von wissenschaftlicher Seite her können einige positive Aspekte dieser Krise hervorgehoben werden. Augenblicklich begannen Wissenschaftler weltweit, Reagenzien und Rohdaten auszutauschen und gesammeltes Wissen in enger Zusammenarbeit zu mehren und umzusetzen. Es ist beeindruckend, wie viel in kürzester Zeit erreicht werden konnte: Angefangen von der Sequenzierung des Genoms bis hin zum Beginn klinischer Studien für neue SARS-CoV-2-Impfstoffe. Ein lebhaftes und erstrebenswertes Beispiel für eine weltweit offene Wissenschaft in der Zukunft.

Ähnliche Herausforderungen werden uns sicherlich auch in Zukunft begegnen. Wir können nur hoffen, dass diese schmerzhaften und beispiellos kostspieligen Lehren aus COVID-19 zu ernsthaften und weltweiten Veränderungen führen: Wir benötigen eine neue Vision für die Organisation unserer Gesellschaft – weg von rein marktwirtschaftlichen Parametern und hin zu wissenschaftlich begründeten und bevölkerungsnahen Bedürfnissen. Nur so können wir uns gemeinsam zukünftigen Herausforderungen erfolgreich stellen.

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