Nationale Krisenmodi: China und Europa im Vergleich

Heike Holbig: In der Krise wird Europa sich fremd. Was wir aus den chinesischen Erfahrungen für die nächste Pandemie – nicht – lernen sollten

Heike Holbig

Von Heike Holbig, Goethe-Universität Frankfurt

„Die Baufirma, die das Krankenhaus in Wuhan gebaut hat, hat sich bereit erklärt, den Berliner Flughafen fertigzustellen. Sie haben zwei Termine vorgeschlagen: Sonntagnachmittag oder Montagvormittag.“

Sicherlich sagt diese satirische „Eilmeldung“ vom Februar mehr über Berlin als Wuhan aus. Dennoch könnte man argumentieren, dass das politische System Chinas in der Corona-Krise besonders gut funktioniert. Nach anfänglicher Vertuschung, die landesweit zu erbitterter Online-Kritik geführt hatte und westliche Beobachter vom tiefgreifenden Vertrauensverlust in der chinesischen Bevölkerung sprechen ließ, scheint die Epidemie durch konsequente Notstandsmaßnahmen wirkungsvoll eingedämmt zu werden. Fast könnte man sagen, in der Krise komme der Parteistaat erst so richtig zu sich.

Das unter Xi Jinping zunehmend durchgriffsstarke und digital präsente Parteiregime, dessen ideologische Rechtfertigung breiter staatlicher Ressourcenmobilisierung angesichts der Epidemie besser denn je verfängt, zeigt sich an der gesellschaftlichen Basis fürsorglich. In der nationalen Krise dürften sich so Effizienz und Legitimität wechselseitig verstärken, zumal die Medien der Nation spiegeln, wie weit China „dem Westen“ damit voraus ist.

Und hier stehen wir Europäer: Abgeschlagen im globalen Überbietungswettbewerb improvisierter Notstandsmaßnahmen, schlagen unsere Regierungen immer tiefer in die Kerbe nationaler Souveränität. Während zuhause die Solidarität vorerst gewahrt scheint, wird sie den europäischen Nachbarn verweigert. Sobald der „Exit“ aus der Krise angekündigt wird (ist nicht umgekehrt die Krise der „Exit“?) und Normalität einkehrt, könnten Effizienz und Legitimität hier schnell in eine Abwärtsspirale geraten. In der Krise wird Europa sich fremd.

Wenn wir uns eingestehen, dass unsere politischen Systeme im nationalen Krisenmodus weniger gut funktionieren; wenn es stimmt, dass Covid-19 kein Feind, sondern eine Virusvariante ist und wir in Zukunft häufiger Pandemien erleben werden; dass die Engpässe im Gesundheitssektor liegen, in Gestalt mangelnden medizinischen Personals, zu wenig Intensivbetten und Schutzkleidung; wenn es ferner stimmt, dass nach Epidemien anders als nach Kriegen und Naturkatastrophen keine Wiederaufbau-Konjunktur ins Haus steht und wir mit langfristigen sozioökonomischen und politischen Verwerfungen im Gefolge der breit ergriffenen Notstandsmaßnahmen rechnen müssen – sollten wir für die nächste Pandemie dann nicht lernen, auf die reflexartige Legitimationsfigur der nationalen Krise zu verzichten?

Wäre die europäische Ebene nicht vielleicht doch geeigneter, solidarisch legitimierte Antworten auf die bestehenden Engpässe im Gesundheitswesen und die Probleme in den sozialen Sicherungssystemen auf der Grundlage eines gemeinsamen europäischen Haushalts zu finden? Ja, solche europäischen Antworten kämen langsamer zustande, aber wenn die Alternative wäre, die nationalen Krisen zum Dauermodus zu erheben, scheinen die langsamen Antworten im Zweifel doch die besseren.

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