Was im Lockdown unsichtbar bleibt

Drei Perspektiven auf die "Systemrelevanz" von Care-Arbeit in der Corona-Krise

Von Birgit Blättel-Mink, Sarah Speck und Helma Lutz, Goethe Universität  Frankfurt

Die Care-Arbeit, unterbezahlt und größtenteils unsichtbar, erhält in den Zeiten von Corona eine unerwartete Aufmerksamkeit. Das hilft denjenigen, die vor allem und in ganz unterschiedlichen Feldern die Care-Arbeit leisten, jedoch kaum. Drei Soziologinnen, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit Care-Arbeit auseinandersetzen, beschäftigen sich mit den Gründen dafür und formulieren drei Thesen:

1. Die Unsichtbarkeit von Care-Arbeit verschärft sich in der Pandemie – trotz scheinbarer öffentlicher Fokussierung

Trotz des allmählichen Rückgangs des ‚männlichen Ernährermodells‘ leisten Frauen noch immer den Hauptanteil der unbezahlten Familienarbeit und der beachtliche gender pay gap zuungunsten der Frauen erhält sich so kontinuierlich; vergleichbare Entwicklungen lassen sich auch für die Hochschulen beobachten, in denen Sorgearbeit als konstitutiver und gleichzeitig unsichtbarer Bestandteil der Lehrtätigkeit meist Frauen überlassen wird, denen damit weniger Zeit für wissenschaftliche Profilierung bleibt. Diese Mechanismen der Reproduktion von Ungleichheit verschärfen sich in der Pandemie noch einmal.

2. Die Pandemie versetzt dem sowieso nur langsam voranschreitenden Prozess der geschlechtergerechten gesellschaftlichen Arbeitsteilung einen weiteren Dämpfer

Erste Studien belegen, dass die durch den ‚Lockdown’ anfallende Mehrarbeit in den Privathaushalten in heterosexuellen Kleinfamilien vor allem von Frauen geschultert wird. Die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit führt zur Überbelastung von Frauen und wird Folgen für Berufs- und Karrierewege haben. Auch für viele Wissenschaftlerinnen ergeben sich durch den Wegfall der Care-Infrastruktur Mehrbelastungen durch Haushaltsarbeit, Homeschooling und (Klein-)Kinderbetreuung, die konzentrierte Arbeitsstunden kaum mehr zulassen. Die Hoffnung, dass durch eine ‚Neuordnung des Privaten‘ eine geschlechtergerechte Umverteilung der abgewerteten Care-Arbeit realisiert werden kann, ist damit vorläufig in weite Ferne gerückt.

3. Der ‚Lockdown‘ innereuropäischer Grenzen macht die Fragilität einer ökonomisierten, internationalen Arbeitsteilung in der Fürsorge sichtbar, die auf Kosten von Migrantinnen aus osteuropäischen Ländern geht.

Die Folgen der europäischen Grenzschließungen für die geschätzten 500 000 transnationalen Migrantinnen aus Osteuropa, die in deutschen Haushalten pflegebedürftige ältere Menschen rund um die Uhr versorgen, und die von ihnen Betreuten, sind fatal. Das in diesem Bereich etablierte Rotationssystem von mehrwöchigen Pflegeperioden wird durch das Virus angetastet und legt die Fragilität eines Gesundheitssystems offen, dass unter Ausnutzung ökonomischer Differenzen die 24-Stunden-Pflege erfunden hat, um Betreuungskosten zu drücken und sich über das ‚Outsourcing‘ der Fürsorgeverantwortlichkeit zu entledigen.

Link zum Covid-19-Blog des Cornelia Goethe Centrums

Quellen:

Flaherty, C. (2020): No room of one’s own

Kohlrausch B., Zucco, A. (2020): Corona trifft Frauen doppelt – weniger Erwerbseinkommen und mehr Sorgearbeit,WSI Policy Brief Nr. 40, Mai 2020

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