Die Pandemie und Europa

Bertram Schefold: Es muss endlich zu einer grundsätzlichen ökonomischen Verständigung zwischen dem Süden und dem Norden kommen

Bertram Schefold

Von Bertram Schefold, Goethe-Universität Frankfurt

Die wirtschaftlichen Beschränkungen, in die zumindest die entwickelten Länder durch die Pandemie nach einer anscheinend unabwendbaren Logik sukzessive gezwungen wurden, hat alle überrascht und bisher geltende Maßstäbe von Politik, Recht und Sitte verändert, was Juristen und Soziologen mit Recht beunruhigt. Mir geht es um die Soziale Marktwirtschaft, deren ordnungspolitisches Regelwerk mit so großer Geschwindigkeit umgebaut wird, dass man die einzelnen Schritte kaum identifizieren kann. Der Paternalismus der Gesundheitspolitik begründet den Regelbruch. Beispiele sind die Grenzschließungen als Präzedenzfälle für die Infragestellung der Freizügigkeit in Europa, die Ungleichbehandlung der Wirtschaftssektoren, die Staatsgarantien für die Darlehen – all das kam, als ob es unausweichlich wäre, und warum dann nicht auch noch gleich Eurobonds?

Der liberale Ordnungspolitiker Eucken’scher Tradition findet, es müssten erst die Marktbedingungen geschaffen und eine gute Produktion aufgebaut werden; dann folgten auch Absatz- und Produktivitätswachstum. Die italienischen Ökonomen berufen sich darauf, dass nach Okun, Verdoorn und Kaldor die Produktivität mit dem Wachstum durch kumulative Effekte zunähme, dass höherer Absatz nach Smith verfeinerte Arbeitsteilung bedinge, wodurch die Kosten gesenkt und neue Märkte gewonnen werden könnten. Der Staat soll durch seine Ausgaben- und Außenhandelspolitik dieses Wachstum herbeiführen. Staatsschulden gelten dabei als nachrangig. Italien hat damit einen anderen Wirtschaftsstil im Auge als Deutschland.

Bei fast jeder Wirtschaftskrise ist strittig, was sie ausgelöst hat: Überinvestition wie bei Spiethoff, allgemeiner Nachfragerückgang wie bei Keynes, endogene Finanzierungsprobleme wie bei Minsky? Dieses Mal weiß man, dass die Krise gemacht wurde – gemacht werden musste –, und die Hauptfolge ist wie immer eine Finanzklemme, die man mit allen Mitteln der Zentralbank und des Regierungshandelns zu überbrücken sucht.

Aus jeder Krise hat man gelernt: Aus den Zehnjahreskrisen im 19. Jahrhundert in England folgte die Theorie, es müsse die Zentralbank nach Bagehot durch Kredite an illiquide aber solvente Banken zu hohem Zins und gegen gute Sicherheiten Geldpanik bekämpfen. Die deutsche Historische Schule wollte mit den Versicherungen in der großen Depression des späten 19. Jahrhunderts vor allem soziale Konsequenzen mildern. Von der Krise 1929 blieben die automatischen Stabilisatoren und die keynesianische Hoffnung, durch Stützung der effektiven Nachfrage die eigentliche Krisenursache zu eliminieren und den Aufschwung zu verewigen.

Dieses Mal geht es darum, nicht beliebig Restriktionen zu lockern, sondern den adäquaten Kompromiss zwischen ordnungspolitischem und keynesianischem Denken zu finden, um die künftige wirtschaftspolitische Ordnung Europas zu entwickeln. Dazu muss es endlich zu einer grundsätzlichen Verständigung zwischen dem Süden und dem Norden kommen, an der die Ökonomen jetzt zu arbeiten haben.

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