It’s not the scientific facts, stupid!

Nicole Deitelhoff: In Krisen muss die Politik unter Unsicherheit entscheiden. Wissenschaft kann dies durch die Förderung von Auseinandersetzung über Alternativen unterstützen, sie kann es aber nicht durch Fakten überflüssig machen

Nicole Deitelhoff

Von Nicole Deitelhoff, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

Es ist erstaunlich, wie groß die Zustimmung der Bevölkerung zu den teils drastischen Einschnitten in Freiheitsrechte ausfällt zumal vor dem Hintergrund, dass das Vertrauen in die politischen Institutionen seit Jahren eher gering ausgeprägt ist. Noch mehr überrascht dies, wenn man sich vor Augen hält, wie wenig belastbar unser Wissen über die Verbreitungsmodalitäten oder Mortalität des Corona-Virus ist.

International gibt es durchaus unterschiedliche Ansätze zum Umgang mit dem Virus, die Shutdown bis zur Anwendungsreife wirksamer Medikamente oder gar eines Impfstoffs reichen zu Überlegungen eines Stop-And-Go von Shutdown-Maßnahmen und Lockerungen bis hin zur gezielten Isolation nur jenes Teils der Bevölkerungen, der als Risikogruppe gilt.

Welche Maßnahmen die richtigen sind, wird sich erst im Verlauf der Coronapandemie erweisen können und hängt noch dazu von einer Vielzahl schwierig zu bemessener Kontextfaktoren ab, die von der regionalen Verteilung von Infektionen über die Struktur des Gesundheitswesens bis hin zur Frage der Altersstruktur der Bevölkerung reichen, um nur einige zu nennen: Omitted Variable Bias ist nicht ohne Grund eines der zentralen Probleme wissenschaftlicher Analysen.

Aber auch ohne dieses Problem ist die gegenwärtige Unsicherheit über die Lage keine Besonderheit der Corona-Pandemie, sondern definitorisches Merkmal von Krisen generell: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass unter Ungewissheit Entscheidungen getroffen werden müssen, die teils radikale Folgeeffekte erzielen können, über die zum Zeitpunkt der Entscheidung noch keine Erkenntnisse existieren. Das macht Krisen zu Krisen.

Aus diesem Grund ist schon die Frage nach der Alternativlosigkeit der gegenwärtigen Maßnahmen falsch gestellt: Natürlich gibt es alternative Möglichkeiten, die anstelle der jetzigen politisch in Kraft gesetzt werden könnten. Dass die jetzigen Maßnahmen in Kraft sind, ist das Ergebnis einer Abwägung der Dinge, die zum jetzigen Zeitpunkt bekannt sind und jener, die unbekannt sind unter Berücksichtigung der Kosten, die eine Bevölkerung gegenwärtig zu akzeptieren bereit ist. Krisenmanagement ist keine Domäne der Wissenschaft, sondern der Politik. Nur sie kann und sie muss in Zeiten der Unsicherheit wissenschaftliche Daten, normative Erwägungen, rechtliche Grenzen und technisch Machbares miteinander in Beziehung setzen und teils harte Entscheidungen treffen. Nicht die Alternativlosigkeit ist also das Problem, sondern die Frage, ob über die Alternativen nachgedacht und sich auseinandergesetzt wird. Krisenmanagement ist kein One-Shot-Verfahren, sondern erfordert, Entscheidungen fortlaufend zu korrigieren, wenn neue Ereignisse oder Erkenntnisse auftreten. Dies ist die Aufgabe der Wissenschaft: Solche Auseinandersetzungen zu fordern, wo sie fehlen, und zu fördern durch die Bereitstellung und Produktion von Wissen, aber auch durch Orientierung und Einordnung von Alternativen.

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