Natürlich gibt es Alternativen. Aber wie viel des globalen Wissens über sie wird genutzt?

Guido Friebel: Die internationale Wissenschaftsgemeinschaft ist in einem regen Austausch von Daten, Modellen und Meinungen. In einzelnen Ländern aber dominiert eine kleine Zahl von Experten die Diskussion und Politikberatung. Wir sollten über neue Modelle des Wissenstransfers nachdenken, um uns für die Zukunft zu wappnen

Von Guido Friebel, Goethe-Universität Frankfurt

In den für den Kampf gegen das neue Virus entwickelten Strategien unterschiedlicher Länder manifestiert sich die Bandbreite möglicher Reaktionen auf und Strategien gegen das Virus. Es koexistieren vollständige Ausgangsperren und die Isolation betroffener Gebiete wie in Italien und Spanien, Einschränkungen des öffentlichen Lebens wie die in Deutschland praktizierte Kontaktsperre, und die sehr viel milderen, an Laisser-faire grenzenden Maßnahmen der schwedischen Regierung.

Diese mögen Unterschiede in den Gegebenheiten reflektieren wie Altersstrukturen, Gesundheitssysteme, Bevölkerungsdichten etc. Sie mögen auch auf politische Präferenzen und Machbarkeiten zurückzuführen sein.

Es stellt sich aber die Frage, ob die unterschiedlichen Strategien nicht auch zu einem erheblichen Teil darauf zurückzuführen sind, welche Wissenschaftler*innen das größte Gehör in der Politik finden.

In den Medien wird Bezug auf einige wenige Experten und Expertinnen genommen (weitgehend sind dies, einmal mehr, Männer). Während sich die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft über Facebook, Zoom, in Online-Journalen, Diskussionspapieren und (bewundernswert schnell!) publizierten Artikeln in Lancet, Science oder NEJM austauscht und bemerkenswerte Einigkeit darüber besteht, was zu tun ist, werden die nationalen Medien – und vermutlich auch die Politik – durch eine kleine Anzahl von Experten gespeist. In Schweden vertritt der „Statsepidiemolog“ Anders Tegnell eine Ansicht, die stark von der des Robert-Koch-Instituts in Deutschland abweicht.

Eine international Debatte findet statt, aber findet national wenig Gehör in Politik und Medien.

Dies ist nicht die Schuld der Wissenschaft. Christian Drosten hat sehr klar gemacht, dass es die Politik, und nicht die Wissenschaft ist, die entscheidet (siehe den Beitrag von Nicole Deitelhoff). Wir befinden uns in der glücklichen Lage, dass viele der befragten und gehörten Experten und Expertinnen Spezialisten sind, die in internationalen Zeitschriften publizieren. Keine/r von ihnen aber kann genug Wissen haben, um in Zeiten großer Ungewissheit (siehe den Beitrag von Jan Krahnen) und unsicherer Datenlage (siehe den Beitrag von Uwe Walz), den bestmöglichen Rat zu geben.

In der Analyse und Bekämpfung des Virus nutzen wir bei weitem nicht die Möglichkeiten von Machine-Learning und Realzeitdaten (und das hat durchaus Gründe, siehe Beitrag von Rainer Forst). Aber auch in der Art und Weise, wie wir mit dem globalen Wissen umgehen, fallen wir weit hinter dem zurück, was möglich ist. Vielmehr sind wir in den traditionellen Organisationsstrukturen mit nationalen Instituten oder anderen zentralen Einrichtungen verfangen, die Einzelnen kraft ihrer Position in der Organisation unserer Gemeinwesen oder ihrer Medienkompetenz viel Gewicht geben.

Eine moderne Gesellschaft aber sollte sich durch das immense Wissen von Virolog*innen, Datenanalytiker*innen und Modellierer*innen in der ganzen Welt leiten lassen. Es ist nun an der Zeit, über neue Organisationsformen des Wissensaustauschs zwischen Forschung, Medien und Politik nachzudenken, um uns besser gegen zukünftige Pandemien wappnen zu können.

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