Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise

Leo Kaas: Kann die Volkswirtschaft mit gleicher Leistungsfähigkeit aus dem aktuellen künstlichen Koma erwachen oder sind langfristige Schäden zu befürchten?

Leo Kaas

Von Leo Kaas, Goethe-Universität Frankfurt

Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, werden ganze Branchen stillgelegt. Dieser Zustand wird mit einem künstlichen Koma verglichen, in das die Volkswirtschaft für begrenzte Zeit versetzt wird. Doch kann die Patientin anschließend mit gleicher Leistungsfähigkeit erwachen oder sind langfristige Schäden zu befürchten?

Die Antwort auf diese Frage hängt maßgeblich davon ab, was mit dem Produktionspotenzial der Volkswirtschaft passiert, also derjenigen Wirtschaftsleistung, die bei Normalauslastung der Produktionsfaktoren erreichbar wäre. Diese wichtige makroökonomische Größe wird durch drei Faktoren bestimmt: Erstens durch das Arbeitsangebot, differenziert nach Qualifikation und Berufserfahrung (Humankapital), zweitens durch den in Unternehmen gebundenen Kapitalbestand und drittens durch die sogenannte totale Faktorproduktivität (TFP), die davon abhängt, wie effizient unterschiedliche Arbeitnehmer*innen und Kapitalgüter zusammenarbeiten.

Leider ist zu befürchten, dass alle drei Faktoren Schaden nehmen werden, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß und in Abhängigkeit von der Dauer des Lockdown und den begleitenden Politikmaßnahmen. Der Verlust an Humankapital besteht aus entgangener Berufserfahrung sowie Qualitätsverlusten im Bildungssystem durch fehlenden Präsenzunterricht; er dürfte als relativ gering einzuschätzen sein.

Deutlich gewichtiger sind die zu erwartenden Einbußen für den Kapitalbestand und für die TFP. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen halten sich Unternehmen in der Krise mit Investitionen zurück, und sie werden dies auch künftig tun, wenn sie sich aktuell stark verschulden müssen. Dadurch fällt der Kapitalbestand dauerhaft unter das Niveau, das er ohne die Coronakrise erreicht hätte. Zum anderen drohen zahlreiche Unternehmensschließungen, wodurch ein Großteil des Kapitals abgeschrieben werden muss. Weiterhin sinkt die TFP, da Arbeitnehmer*innen ihr firmen- oder branchenspezifisches Humankapital nicht gleich effizient werden einsetzen können. Der wesentliche Vorteil der Kurzarbeit, nämlich das spezifische Humankapital für die Zeit nach einer Wirtschaftskrise zu bewahren, wird dadurch zunichtegemacht.

Vorrangiges Ziel der Wirtschaftspolitik muss daher die Vermeidung von Insolvenzen und Kapitalliquidationen sein. Zahlreiche Länder, so auch Deutschland, haben auf diese Herausforderung mit Liquiditätsprogrammen reagiert, die in erster Linie aus staatlich besicherten Krediten bestehen. Diese haben aber den Nachteil, dass sie zur Überschuldung der von Schließungen betroffenen Unternehmen führen und daher mitunter gar nicht erst beansprucht werden. Besonders kleine und mittlere Unternehmen, die nicht durch Eigenkapitalbeteiligungen des Staates gerettet werden können, sind in akuter Gefahr.

Alternative Vorschläge liegen auf dem Tisch. Eine direkte Beteiligung der Kapitaleigentümer etwa in Form von „Kurzarbeit für Kapital“ könnte die laufenden Kosten der betroffenen Unternehmen senken und helfen, den Einsatz staatlicher Hilfen zu begrenzen. Dennoch wird es ohne eine massive Beteiligung des Staates nicht gehen. Am weitreichendsten wäre ein vollständiger Ersatz der Umsatzausfälle mit Ausgleich über die Gewinnbesteuerung im kommenden Jahr. Angelehnt an das Modell der Studiendarlehen ließe sich eine Teilrückzahlung von Zuschüssen konditional an gute künftige Gewinnlagen koppeln. Ein derartiger Ansatz könnte auch über einen europäischen Staatsfond realisiert werden.

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