Responsibilisierungen in der Corona-Pandemie

"Wir werden uns das Verhalten der Bevölkerung an diesem Wochenende anschauen": Verantwortungszuschreibungen prägen Alltag und Politik in und nach der Pandemie

Autoren

Von Laura Otto, Andreas Streinzer, Kathrin Eitel, Ruzana Liburkina, Martin Fotta, Goethe-Universität Frankfurt

Die Pandemie ist ein Brennglas für Responsibilisierung, der Zuschreibung von Verantwortung. Die Risiken einer Pandemie waren bekannt: Es wurden Warnsysteme für Viren-Reservoirs eingerichtet, Berichte geschrieben, Modellierungen vorgenommen und Planspiele entwickelt. Zwischen dieser Vorbereitung und heutigen Schuldzuweisungen, etwa als Klagen gegen die Volksrepublik China oder die Behörden in Ischgl, liegen Prozesse, in denen Verantwortung eine entscheidende Rolle spielt. Diese Dynamiken nimmt die Initiative Configurations of Responsibilisation (CoRe) an der Goethe-Universität Frankfurt in den Blick.

Verantwortungszuschreibung und -übernahme verlaufen nicht geradlinig oder eindimensional, sondern sind verteilte, komplexe und inkohärente Prozesse. Sie sind verteilt, da zahlreiche Akteur*innen in einer Beziehungskette zwischen Viren-Reservoirs, Gesundheitsbehörden, Transportsystemen, internationalen Organisationen, bis zu den adressierten Bürger*innen beteiligt sind. Sie sind komplex, weil sich in verteilten Netzwerken weder einzelne Verantwortungssubjekte noch klar voneinander abgrenzbare Verantwortungsobjekte bestimmen lassen. Schließlich sind diese Prozesse unumgänglich inkohärent, da die vielen Responsibilisierungen sich teilweise widersprechen und im Laufe der Zeit überlagern.

Drei Register der Verantwortungszuschreibung sind hier zentral: Wissen, Moral und Recht. Die Bedeutung von Wissen zeigt sich in der plötzlich hohen medialen Präsenz und Aufmerksamkeit gegenüber Virolog*innen. In Beiträgen von Expert*innen gehen Wissenstransfer und moralische Appelle ineinander über. Sie gründen auf der Idee, dass Aufklärung plus Handlungsanweisung zu verantwortungsvollem Handeln führen. Tatsächlich stiftet das neue Handlungs- und Kommunikationsformen – von Hashtags, wie #staythefuckhome, über nachbarschaftliche Einkaufshilfe bis hin zum Anprangern von ‘Corona-Sünder*innen’. Während scheinbar jede*r für etwas Verantwortung zu übernehmen sucht oder dazu verpflichtet wird, werden die Expert*innen selbst dafür zur Verantwortung gezogen, weil ihr Wissen nicht hinreichend zu fruchten scheint.

Das Recht soll Verantwortung konsolidieren, wo Wissen und moralische Appelle die Vorstufe bilden und scheitern. So auch die bekannte Androhung: Ausgangssperren kommen, falls ihr nicht freiwillig tut, was solche Maßnahmen euch vorschreiben. Hier rückt das Individuum in den Hintergrund und die Bevölkerung als Ganzes wird adressiert. Mit einem ähnlichen Spannungsverhältnis spielen viele Responsibilisierungen dieser Tage: Möglich sei vieles, aber nur, wenn jede*r Einzelne*r Empfehlungen internalisiert und sich dementsprechend verhält. Wenn nicht, kommt das Gesetz, das Verantwortung für alle gleich definiert.

Wie die ‘neue Normalität’ aussehen wird und wann sie eintritt, wird im entscheidenden Maße im Zuge vieler gleichzeitiger Responsibilisierungsprozesse auf verschiedenen Ebenen bestimmt.

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