Verwissenschaftliche Politik?

Steffen Mau: Die Politik braucht die Wissenschaft, aber nicht als Expertokratie, sondern sie muss über Möglichkeiten nachdenken, Wissenschaft in politische Verfahren einzubinden, ohne die Demokratie auszuhöhlen

Steffen Mau

Von Steffen Mau, Humboldt-Universität zu Berlin

Selten kam es bei politischen Entscheidungen so sehr auf das richtige timing an. Eine Verzögerung von Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie um wenige Tage riskierte einen exponentiellen und letztlich unkontrollierten Anstieg der Infizierten, ein zu frühes Einschreiten besaß angesichts der tiefen Einschnitte in die Rechte und Lebensumstände aller Bürger ein Legitimitäts- und Akzeptanzproblem. Dass sich die Bundeskanzlerin in ihrer Ansprache zu den Maßnahmen zur Coronakrise explizit auf den Rat der Wissenschaften und Experten bezog, war politisch klug. Dabei ging es um Evidenzbasierung der Politik und die Legitimationsbeschaffung für harte Maßnahmen, aber es leitete zugleich einen Teil der Verantwortung für die Entscheidungen auf die Wissenschaft um. Wissenschaftler wie der Virologe Christian Drosten haben diese Last gespürt und mit Nachdruck darauf verwiesen, dass sie nur Ratschläge erteilten, aber kein politisches Mandat hätten. Vor allem die Güterabwägung, beispielsweise zwischen Gesundheit und wirtschaftlicher Entwicklung, und die Einbeziehung unterschiedlicher Aspekte sei nicht durch die Virologie oder die Epidemiologie zu leisten.

Eine umstandslose Verwissenschaftlichung der Politik kann daher auch kein Ziel sein, zumal es – nicht fundamental, aber mindestens in Nuancen – auch unterschiedliche Expertenmeinungen gibt. Das zeigt sich nicht nur hierzulande, sondern macht auch ein Blick über die nationalen Grenzen hinweg deutlich. Dies ist angesichts der Unvollständigkeit und auch der Einzigartigkeit der Corona-Pandemie auch keine Überraschung: Die Wissenschaft tastet sich erst an ein fundiertes Verständnis heran, vieles ist noch vorläufig, manches unbekannt. Wir brauchen informierte Politik auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnis, aber keine Suspension politischer Entscheidungen. Auch das Voranpreschen und die Dominanz der Exekutive muss man kritisch sehen, allem Zeitdruck zum Trotz. Die Gefahr im Verzug und die Dringlichkeit der Entscheidungen dürfen das demokratische Mandat nicht aushöhlen, brauchen Prozesse der demokratischen Einbeziehung. Wo dies aber geschieht, kann der Legitimitätsgewinn durch die Einbeziehung von Expertinnen und Experten schnell ins Stolpern geraten und ins Gegenteil kippen. Deswegen muss wissenschaftlicher Rat mit dem Prozess der demokratischen Willensbildung zusammengeführt werden, darf nicht das eine das andere dominieren.

Foto: Marten Körner

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